Nereiden
Die Nereiden (bzw. Nereïden auch geschrieben), Töchter des Meeresgottes Nereus und der Okeanide Doris, verkörpern in der griechischen Mythologie die lebendige Vielfalt des Meeres. Als Meeresnymphen unterschieden sie sich von den Okeaniden, den Nymphen des inneren Meeres. Ihre Darstellung als Wellen des Meeres verweist auf eine tiefe Verbundenheit mit dem natürlichen Element, das die Griechen umgab und prägte.
Nereiden und Tritonen (als Meerwunder).
Tönet laut in schärfern Tönen,
Die das breite Meer durchdröhnen,
Volk der Tiefe ruft fortan! –
Vor des Sturmes grausen Schlünden
Wichen wir zu stillsten Gründen,
Holder Sang zieht uns heran.
Seht! Wie wir im Hochentzücken
Uns mit goldnen Ketten schmücken;
Auch zu Kron’ und Edelsteinen,
Spang- und Gürtelschmuck vereinen.
Alles das ist eure Frucht.
Schätze, scheiternd hier verschlungen,
Habt ihr uns herangesungen,
Ihr Dämonen unsrer Bucht.
Quelle: Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Der Tragödie zweiter Teil. Felsbuchten des Ägäischen Meers.
Ursprung und Bedeutung
Nereus, vorrangig als Vater der Nereiden bekannt, und Doris, deren Rolle in den Mythen weniger ausgeprägt ist, bildeten das Oberhaupt einer göttlichen Familie, die das Meer in seiner freundlichen und zugänglichen Form personifizierte. Die unzähligen Töchter, die Nereiden, wurden als personifizierte Meereswellen betrachtet. Ihre Existenz und Namen reflektieren die mannigfaltigen Erscheinungen und Stimmungen des Meeres, von der ruhigen See bis hin zum stürmischen Wellenschlag.
Gewusst? Auch in der Zoologie kennt man Nereiden. Mit den bezaubernden Wesen aus dem Wasser haben die Ringelwürmer in der Klasse der Vielborster (Polychaeta) aber wenig gemeinsam. Immerhin leben diese auch überwiegend im Wasser, wobei ihre Länge variieren kann, von wenigen Millimetern bis zu mehr als einem Meter.
Anzahl der Nereiden
Je nach historische Quelle variierte die Anzahl der Nereiden, so spricht Hesiod von 50 oder 51 Nereiden, während Platon gar von 100 spricht. Diese Vielfalt an Namen und Charakteren spiegelt die facettenreichen Aspekte des Meeres und seine Bedeutung für die antike griechische Kultur wider. Berühmte Nereiden wie Thetis, die Mutter Achills, Amphitrite, die Gattin Poseidons, und Galateia stehen exemplarisch für die tiefe Verankerung dieser mythischen Figuren in der Erzähltradition Griechenlands.
Aufzählungen der Namen der Nereiden finden sich sowohl in der Bibliotheke des Apollodor, in der Theogonie des Hesiod, in Homers Ilias und auch bei Hyginus wieder. Man fasst diese Aufzählungen auch unter dem Begriff der Nereïdenkataloge zusammen. Nachfolgend findet man eine Gegenüberstellung der Nereïdenkataloge von Wilhelm Heinrich Roscher1:
Homer Il. 18, 38ff. | Hygin Fab. Praef. | Hesiod Th.. 243ff. | Apollodor 1, 2, 7 |
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Agave | Agave | Agave | Agave |
Aktaie | Actaea | Aktaie (al. Akraia) | Aktaie |
Amatheia | Amathea | - | - |
Amphinome | Amphinome | - | - |
Amphithoe | Amphithoe | - | - |
- | - | Amphitrite | Amphitrite |
Apseudes | Apseudes | - | - |
- | - | Autonoe | Autonoe |
Dexamene | Dexamene | - | - |
- | - | - | Dero |
- | - | - | Dione |
Doris | Doris | Doris | - |
Doto | Doto | Doto | Doto |
Dynamene | Dynamene | Dynamene | Dynamene |
- | - | Eione | Eione |
- | - | Erato | Erato |
- | - | Euagore | Euagore |
- | - | Euarne | - |
- | - | Eudore | Eudore |
- | - | Eukrate | Eukrate |
- | - | Eulimene | Eulimene |
- | - | Eunike | Eunike |
- | - | - | Eumolpe (?) |
- | - | Eupompe | - |
Galateia | Galatea | Galateia | Galateia |
- | - | Galene | - |
Glauke | Glauce | Glauke | - |
- | - | Glaukonome | Glaukonome |
Halie | - | Halie (?) | Halie |
- | - | Halimede | Halimede |
- | - | Hipponoe | Hipponoe |
- | - | Hippothoe | Hippothoe |
Iaira | Iaera | - | - |
Ianassa | Ianassa | - | - |
Ianeira | Ianira | - | Ianeira (al. Dianeira) |
- | - | - | Ione |
Kallianassa | Callianassa | - | - |
Kallianeira | - | - | - |
- | - | - | Kalypso |
- | - | - | Keto |
Klymene | Clymene | - | - |
- | - | - | Kranto |
- | - | Kymatolege | - |
- | - | Kymo | Kymo |
Kymodoke | Cymodoce | Kymodoke | - |
Kymothoe | Cymothoe | Kymothoe | Kymothoe |
- | - | Laomedeia | - |
- | - | Leiagore | - |
Limnoreia | Limnorea | - | Limnoreia |
- | - | Lysianassa | Lysianassa |
Maira | Maera | - | - |
Melite | Melite | Melite | Melite |
- | - | Menippe | - |
- | - | - | Nausithoe |
Nemertes | Nimertis | Nemertes? | - |
- | - | - | Neómeris |
Nesaie | Nesaea | Nesaie | Nesaie |
- | - | Neso | - |
Oreithyia | Orithyia | - | - |
Panope | Panope | Panope | Panope |
- | Panopea? Statt der fehlenden Callianira | - | - |
- | - | Pasithea | - |
Pherusa | Pherusa | Pherusa | Pherusa |
- | - | - | Plexaure |
- | - | Polynoe | Polynoe |
- | - | - | Pontomedusa |
- | - | Pontoporeia | - |
- | - | Pronoe | - |
- | - | Protho | - |
Proto | Proto | Proto | Proto |
- | - | Protomedeia | - |
- | - | Psamathe | Psamathe |
- | - | Sao | Sao |
Speio | Speio | Speio | Speio |
Thaleia | Thalia | Thalie? | - |
- | - | Themisto | - |
Thetis | - | Thetis | Thetis |
Thoe | Thoe | Thoe? | - |
Im „Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie“ ist allerdings weiter zu lesen, dass man mit weiteren Quellen auf insgesamt 98 überlieferte Nereidennamen kommen würde. Doch auch dieser Zahl sei nicht zu trauen, da dies ist:
[…] ein Ergebnis, auf das jedoch kein weiterer Wert zu legen ist, als dass man daraus ersieht, dass der griechische Erfindungsgeist doch eine weit größere Zahl von Nereidennamen ersonnen hat, als man bei der üblichen Zahl von 50 Nereiden gewöhnlich anzunehmen geneigt ist. Dabei mag man sich erinnern, dass ihre Zahl auch zuweilen auf 100 angegeben wird, z. B. Prop. 4, 6(7). 68.
Mythische Darstellungen und Kult
Die Nereiden wurden oft in Gruppen dargestellt („Mädchen der Salzflut“), die das Meer in seiner Gesamtheit symbolisierten. Ihre Präsenz in der Kunst und Literatur unterstreicht ihre Rolle als lebensspendende und schützende Kräfte, die den Menschen auf See Beistand leisten und das Küstenleben bereichern. In Delos beispielsweise wurden sie verehrt, was auf einen kultischen Kult hinweist, der ihre Bedeutung innerhalb der antiken griechischen Religion unterstreicht.
Dargestellt wurden die Nereiden meist als bezaubernde und liebreizende Wesen, die vor allem durch ihre Schönheit beeindruckten. Erst wurden sie in langen fließenden Gewändern, ab dem 4. Jahrhundert aber auch leicht entblößt und später nackt dargestellt. Letzteres war eine Folge, da sie häufig im Wasser, badend dargestellt wurden. Darin werden sie entweder als Wesen mit Frauenkörper und Fischschwanz am Ende dargestellt oder auch komplett als Frau bzw. Mädchen.
Sind sie unterwegs reiten sie entweder auf dem Rücken von Delfinen, Seedrachen oder Hippokampen, Fabelwesen als Mischung aus vorne Pferd und hinten Fisch.
Nereiden findet man nicht nur auf zahlreichen Bildnissen und Fresken, auch ganze Grabmäler gaben sie ihren Namen. Genannt werden kann hier beispielsweise das Nereïdenmonument von Xanthos oder das Grab der Nereide, dessen Überreste in der Nekropole Vannullo bei Paestum, heute Capaccio, Provinz Salerno gefunden wurden.
Bedeutende Nereiden: Individualität innerhalb der Kollektivität
Trotz ihrer oft kollektiven Darstellung in Mythologie und Kunst traten einige Nereiden individuell hervor, sei es durch ihre persönlichen Geschichten oder durch ihre besondere Bedeutung in bestimmten Mythen. Thetis, Amphitrite und Galateia sind Beispiele für Nereiden, deren individuelle Erzählungen sie aus der anonymen Masse ihrer Schwestern hervorheben.
Amphitrite
Amphitrite, die Gemahlin Poseidons und somit Königin der Meere in der griechischen Mythologie, verkörpert die Majestät und Macht der ozeanischen Tiefen. Ursprünglich eine der Nereiden, wird sie durch ihre Verbindung mit Poseidon zu einer zentralen Figur in der Herrschaft über die Meere. Ihre Erscheinung und ihr Wesen strahlen sowohl Anmut als auch Autorität aus, was sie zu einer Respekt einflößenden Präsenz unter Göttern und Sterblichen macht. Ihre Beziehung zu Poseidon ist nicht nur von Bedeutung für die Hierarchie der olympischen Götter, sondern symbolisiert auch die Einheit von Meer und Himmel, die in der antiken Welt als fundamentale Kräfte der Natur angesehen wurden. Amphitrite ist in der Mythologie weniger für eigene Abenteuer bekannt als vielmehr für ihre Rolle als Stütze und Partnerin Poseidons, ihre Darstellung in Kunst und Literatur betont jedoch oft ihre Schönheit und ihre Verbindung zum Leben des Meeres.
Thetis
Thetis zeichnet sich durch ihre tiefe Verbindung zu den Schlüsselmomenten der antiken Erzählungen aus. Sie ist am bekanntesten als die Mutter des Achilles, des größten Helden des Trojanischen Krieges, und spielt eine entscheidende Rolle in dessen Schicksal, indem sie versucht, ihn vor seinem vorhergesagten frühen Tod zu schützen. Ihre Ehe mit dem sterblichen Peleus, aus der Achilles hervorgeht, wird durch die berühmte Geschichte der goldenen Apfel und der Hochzeit, die zum Trojanischen Krieg führt, verewigt. Thetis' Charakter ist geprägt von Stärke, Liebe und Opferbereitschaft; sie versucht, Achilles' Leben durch magische Mittel zu verlängern, was seine nahezu Unbesiegbarkeit begründet. Ihre Darstellung in der Mythologie spiegelt die komplexen Beziehungen zwischen Göttern und Menschen wider und betont die Macht sowie die Grenzen göttlicher Intervention in menschliche Angelegenheiten.
Galateia
Galateia, bekannt aus Homers Odyssee und nicht zu Verwechseln mit der Galatea des Pygmalion, wird oft in Verbindung mit der Geschichte ihrer unglücklichen Liebe zu Akis, einem sterblichen Jüngling, gebracht. Ihr Verehrer, der Zyklop Polyphem, tötete in einem Anfall von Eifersucht und Wut Akis. Um ihren Geliebten zu ehren, verwandelte Galateia sein Blut in einen Fluss, so dass Akis in gewisser Weise unsterblich wurde. Diese Geschichte unterstreicht die Macht der Liebe über den Tod und die Fähigkeit der Götter, in der natürlichen Welt ein Andenken zu schaffen. Galateia verkörpert die Verbindung zwischen dem Göttlichen und der Natur, insbesondere dem Meer, das Leben spendet und nimmt.
Was ist der Unterschied zwischen Nereiden und Najaden?
Der Unterschied zwischen Nereiden und Najaden liegt in ihren Lebensräumen und Rollen in der griechischen Mythologie. Nereiden sind Meeresnymphen, die schiffbrüchige Seeleute beschützen und sie mit ihren Spielen unterhalten. Najaden hingegen, auch als Wassernymphen bekannt, bewachen Orte wie Quellen, Flüsse, Bäche, Teiche und Seen und stehen im Ruf, die Menschen mit ihrem bezaubernden Wesen ins Wasser zu locken. Najaden werden mit Süßwasser assoziiert, während Nereiden speziell mit dem Meer in Verbindung gebracht werden. Die Najaden waren entweder Töchter des Zeus oder des Okeanos, während die Nereiden Töchter des Meeresgottes Nereus sind.
Fazit
Die Nereiden, als Verkörperungen der vielfältigen Aspekte des Meeres, spielten eine zentrale Rolle in der antiken griechischen Mythologie. Ihre Geschichten und die ihnen zugeschriebenen Eigenschaften offenbaren eine tiefe Verbindung der Griechen zum Meer, das als lebensspendend, aber auch als herausfordernd und gefährlich angesehen wurde. Die Nereiden verkörpern somit nicht nur die Schönheit und Vielfalt des Meeres, sondern auch seine essenzielle Bedeutung für das Überleben und das kulturelle Selbstverständnis der antiken griechischen Gesellschaft.
Quellen und Verweise
- 1 Paul Weizsäcker: Nereïden. In: Wilhelm Heinrich Roscher (Hrsg.): Ausführliches Lexikon der griechischen und römischen Mythologie. Band 3,1, Leipzig 1902, Sp. 209–210